Blauwasser-Blog: Das Abenteuer geht weiter: zurück nach Afrika! | YACHT

2022-11-10 16:04:38 By : Ms. Lulu Ye

Friederike und Martin Finkbeiner sind – inzwischen mit Nachwuchs – wieder unterwegs. Im aktuellen Blog erzählen sie, wie sie zu ihrem Schiff in Gambia segeln

Irgendwo in Westafrika vor einem Jahr. Unsere "Aracanga" liegt an einer Boje im Fluss und wir warten am Ufer in einer mangels Elektrizität notdürftig mit Kerzenlicht beleuchteten Kneipe auf den sympathischen Herrn mit den Wattestäbchen, der uns auf Corona testen soll. "Guten Abend, ich bin Ibrahim vom Gesundheitsministerium. Habt ihr Corona?"

"Guten Abend. Ääh, ich glaube nicht ..."

"Das glaube ich auch. Dann können wir uns den Aufwand mit den Tests ja auch sparen. Ich bring euch die Zertifikate morgen Mittag vorbei."

"Alles klar. Danke."

Pünktlich fährt Ibrahim am nächsten Tag mit seinem verbeulten roten 190er vor und reicht uns die negativen Testzertifikate. Wir machen einen letzten Haken an die lange Liste der Unterlagen, die wir bei der Einreise auf der anderen Seite des Atlantiks vorlegen müssen. Wir wollen in die Karibik. Doch einfacher ist das Fahrtensegeln in Zeiten der Coronapandemie definitiv nicht geworden, und erschwinglicher auch nicht. Mit umgerechnet 50 Euro pro Zertifikat – Lieferservice inbegriffen – sind die Tests in Westafrika die günstigsten und unkompliziertesten.

Ein knappes Jahr früher, irgendwo in Süddeutschland. Es ist März 2020, wir sind auf Heimaturlaub. Wir sitzen auf der Hollywoodschaukel vor dem Elternhaus, schaukeln uns und den Grund unseres Urlaubes, unsere gerade zwei Monate alte Tochter, und überlegen, wie wir wieder zurück auf unser schwimmendes Zuhause kommen. Dieses ist neun Meter lang und wartet an einer Boje im Gambia River auf uns. Unsere gebuchten Bahn- und Zugtickets sind nichtig und ebenso scheitert fast jedes andere Szenario, zurück nach Westafrika zu gelangen, an Corona. Jedes bis auf eines: Segeln.

Wie es der glückliche Zufall möchte, ist mein Papa seit kurzer Zeit in Pension und möchte die neue Freiheit auf dem Wasser verbringen. Sein Boot, die "Ivalu", ist wiederum eine gute alte Bekannte von mir. Auf ihr durfte ich vor zehn Jahren für drei Jahre um die Welt segeln. Die Lösung ist naheliegend und wir schlagen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die doch umfangreicher als gedachte Ausrüstung für Kira, unser bis dato kleinstes Crewmitglied, findet auf den 42 Fuß der "Ivalu" ebenso großzügig Platz wie unsere kleine Familie. Mit drei Erwachsenen lassen sich Nachtwachen und Babysitten entspannt aufteilen und ermöglichen uns einen stressfreien Start ins Kapitel Fahrtensegeln als Familie und meinem Papa ins Kapitel Blauwassersegeln.

Vier Crewmitglieder, fünf Monate, sechs Länder. Ursprünglich startet unser Segelabenteuer im Sommer 2018. Von Deutschland durch die französischen Kanäle und das Mittelmeer segeln wir damals noch zu zweit in den Atlantik. Weiter geht es via Marokko, den Kanaren und Kapverden in den Senegal und nach Gambia. Spontan beschließen wir von dort einen Besuch in der Heimat, der uns ungeplant in die Ausgangssituation dieser zweiten Reise, der Reise in der Reise, bringt. Während unsere 30 Fuß große "Aracanga" in einem anderen Teil der Welt schwimmt, wird die "Ivalu" unsere Bleibe für die nächsten fünf Monate. Mehrgenerationenhaushalte sind ja voll im Trend, warum also nicht eine Mehrgenerationencrew? Tochter Kira, Mama Riki, Papa Martin und Opa Peter machen die Familiencrew komplett.

Hamburg-Harburg. Hier startet unsere Reise und wie bei jeder Fahrtensegelcrew zu Beginn heißt es packen, einräumen, ausräumen, umräumen und wieder verstauen: Klamotten und Ersatzteile finden ebenso ihren Platz wie Lebensmittel, Wasser und Diesel. Allein für Riki, Kira und mich sind es vier Wäschekörbe und zwei Reisetaschen voller Zeug: Neben Babyklamotten in diversen Größen für das kommende halbe Jahr verstauen wir unserer lieben Umwelt zuliebe einen Korb Stoffwindeln in den Schapps, dazu das, was von unseren eigenen Klamotten nicht im Kleiderschapp der "Aracanga" ist. Außerdem Seestiefel, Schwimmwesten, Ölzeug und Co und zu guter Letzt muss auch noch ein Korb voller Ersatzteile für unser eigenes Boot mit.

Abfahrt. Corona-technisch ist die winkende Menge am Steg sehr übersichtlich, dafür umso ausdauernder: Hafenmeister Björn, Liegeplatznachbar Basti und Hund Seemann winken unermüdlich, bis wir endlich nach der vierten Ehrenrunde in die Schleuse zur Elbe einfahren dürfen. Der guten alten Tradition halber geht es wieder einmal auf einem Fluss ans Meer. Zwischen Tankern, Frachtern und Barkassen ziehen wir elbabwärts, von der Süderelbe in den Hauptstrom und kurz darauf schon wieder hart backbord in den Köhlfleet. Dort liegen wir an einem kleinen Anleger, das Wasser ist herrlich ruhig und mit ein bisschen Phantasie kommt trotz morbidem Schwerindustriecharme fast das Gefühl auf, in der Natur zu liegen.

Unsere guten Freunde, die uns auch schon vor zwei Jahren begleitet haben, sind auch auf dieser ersten Etappe wieder dabei. Ihre "Hein Mück", bekannt aus der YACHT 6/2022, muss nur noch mal eben geslippt und betakelt werden. Wir fühlen uns ein bisschen wie die Touristen aus Bayern zu Gast in einer NDR-Heimatsendung, als ein paar waschechte Hanseaten mit wenigen gekonnten Handgriffen und reichlich Hamburger Schnack die "Hein Mück" auf die Sliprampe bugsieren. "Nu warten wir op de Tied und dann swimmt der Kahn." Und so ist es, am späten Nachmittag liegt die "Hein Mück" neben der "Ivalu" am Steg – und wir platt in der Koje.

Hamburg – Brunsbüttel – Cuxhaven – die Tide ist uns wohlgesonnen und wir müssen nicht nachts aus der Koje, um den Ebbstrom auszunutzen. Stattdessen geht es bei wunderschönem Sommerwetter in Richtung Helgoland. Endlich segeln. Hätten wir gerne. Der Windmesser zeigt zwischen null und fünf Knoten an und wir tuckern über eine spiegelglatte See. Das windstille Wetter hat auch was für sich: Hier taucht ein Schweinswal auf, dort eine Robbe, dazu gibt es eine Tasse Kaffee und Kekse.

Nach und nach schält sich Helgoland aus dem Dunst. Eine grüne Tonne an Steuerbord, eine rote an Backbord, und schon sind wir im Hafen und liegen neben unseren Freunden im Päckchen. "Riki, Martin!", ruft es herüber. Vor uns liegt ein großer Katamaran, der uns irgendwie bekannt vorkommt. Die Wiedersehensfreude ist groß, das Boot und die Crew haben wir vor über einem Jahr in Marokko kennengelernt und kurze Zeit später auf den Kanaren wieder getroffen. Die Welt ist klein, die Segelwelt insbesondere.

Drei Tage verbringen wir auf Helgoland, besuchen die Basstölpel auf dem Lummenfelsen, fotografieren die Lange Anna und setzen mit einem der traditionellen Helgoländer Bördeboote auf die Düne über.

Jetzt aber, endlich segeln. Um mit der passenden Tide und noch bei Tageslicht anzukommen, legen wir um vier Uhr morgens ab. Der Wind weht mit frischen 20 Knoten. Im Osten beginnt es bereits kurz nach der Abfahrt zu dämmern und unter voller Besegelung rauschen wir mit einem Pott heißen Kaffee in der Hand in den Morgen. Wir wechseln von der Genua auf die Fock und genießen trotz der etwas ruppigen, kurzen Welle das Gefühl, unterwegs zu sein.

Die komplette Crew samt Baby besteht die erste Bewährungsprobe. Durch das Riffgatt, eine betonnte Passage über das Borkumriff, segeln wir auf die gleichnamige Insel zu und entlang deren Westseite. Mit dem Watt auf der einen und der Insel auf der anderen Seite geht es dann die letzten Meter bis zum Hafen. Dieser ist unaufregend, dafür etwas teurer. Also weiter, die Ems hinauf bis zur holländischen Stadt Delfzijl. Hier beginnt die "Staande Mastroute", eine Kanalroute quer durch die Niederlande. Der Clou: Die gesamte Strecke bis nach Rotterdam ist, wie der Name erahnen lässt, mit stehendem Mast machbar. Ehrlich gesagt klingt uns das nach einer angenehmen Alternative zur nicht immer so gemütlichen Nordsee.

Die Sonne scheint, die Wäschewanne fährt als Babybadewanne an Deck mit und wie im Film zieht eine Ortschaft schöner als die nächste an uns vorbei. Groningen – Dokkum – Leeuwarden – Lemmer – Enkhuizen – Amsterdam: Das ist der erste Teil der Binnenfahrt und, vorausgesetzt man bringt genügend Zeit mit, birgt jeder Stopp ein neues Highlight. Im Grunde sind die Städte mit ihren engen Gassen, Brücken, Schleusen und Kanälen alle sehr ähnlich und trotzdem ist jede für sich genommen äußerst reizvoll. Über Kanäle und durch Seen, hier in Holland Meere genannt, geht es durch das platte Land. Breite Schilfgürtel säumen die Ufer, dahinter grasen die Kühe und Schafe und hier und da steht eine Windmühle, mal eine klassische und mal eine moderne. Lediglich unser Tiefgang macht die Binnenfahrt manchmal spannend. "Zwei Meter? Mit etwas Schwung kein Problem!", meint der Hafenmeister in Zoutkamp mit einem Augenzwinkern, "die unteren 20 Zentimeter sind etwas dickflüssig."

Wir sind seit etwa drei Wochen an Bord und am stärksten merkt man das an unserem kleinsten Crewmitglied Kira. Sie sitzt seit ein paar Tagen, freut sich und ist, solange sie nicht müde oder hungrig ist, immer gut drauf. Für die Landgänge haben wir statt einem Kinderwagen eine Trage und ihren Mittagsschlaf macht sie am liebsten in der kleinen Hängematte über dem Kartentisch. Tagsüber sitzt sie zwischen Kissen im Cockpit und feuert das bunte Windrad zu Höchstleistungen an. Mit Baby ist die Tour entlang der Staande Mastroute ideal, noch ist wenig Bewegung und Schräglage im Boot und es ist genug Zeit, sich einzuleben, bevor es raus aufs richtige Meer geht. Für den Moment begnügen wir uns mit kurzen Segeletappen auf den holländischen Binnenmeeren.

Von Amsterdam, dem touristischen Zentrum der Niederlande tuckern wir via Haarlem und Gouda, der Stadt des Käses, ins Industriezentrum des Landes: Rotterdam. Extra für uns öffnet die Erasmusbrücke, eines der Wahrzeichen der Stadt, und wenige Meter weiter biegen wir in den Veerhaven ab. Wir werden angewiesen, mit dem Bug nach draußen zeigend anzulegen, der alten Tradition nach. Zwei Nächte bleiben wir hier, besuchen die bekannte Markthalle, der es Corona-bedingt leider wie manch anderen Orten etwas an Flair mangelt, und bereiten das Boot vor, um in den nächsten Tagen zur Abwechslung zum Kanaltuckern endlich wieder die Segel zu setzen.

Über den Europoort geht es hinaus aufs Meer und in die erste Nachtfahrt. Die Nordsee blinkt und leuchtet wie eine gigantische Lasershow. Um das Spektakel zu genießen, fehlt uns jedoch noch die Ruhe. Im Gleichtakt blitzen die roten Warnleuchten der Windräder auf. Die unzähligen Schiffe, die ihre Bahnen um uns ziehen, sind schwer zu erkennen und nicht jedes der Schiffe ist auf dem AIS zu sehen, weswegen wir besonders aufmerksam Wache gehen.

An Backbord liegen die Hafenzufahrten von Antwerpen, Zeebrügge und Oostende, an Steuerbord die Ankerlieger und zwischen Ankerfeld, Verkehrstrennungsgebiet und Hafen herrscht ein reger Verkehr. Zwei große Saugbagger vertiefen die Fahrrinne, dazu gesellen sich einige Fischerboote, die wenn sie nicht gerade mit dem Ausbringen und Einholen ihrer Netze beschäftigt sind, auch sonst nicht viel Rücksicht auf andere nehmen. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch etwas aus dem Meer ziehen, bei dem ständigen Grundrauschen der Schiffsdiesel, der Verschmutzung von Luft und Wasser und der schieren Menge der ihresgleichen.

Nach der Enge zwischen Brest und Dover wird es schlagartig entspannter und in der dritten Nacht können wir den Leuchtturm Barfleur und die Lichter von Cherbourg, unserem Ziel, deutlich erkennen. Nachtansteuerungen sind immer spannend. Jeder Leuchtturm und jede Tonne hat seine eigene Kennung. Barfleur: zwei Blitze alle zehn Sekunden. Es folgen weitere Leuchtfeuer, bis schließlich die Lichter der Ansteuerungstonnen vom Hafen Cherbourg in Sicht kommen.

Wetterlotterie, so kann man kurz und knapp unseren Aufenthalt in Cherbourg beschreiben. Jeden Tag checken wir verschiedene Wind- und Wettervorhersagemodelle und kommen jeden Tag zu dem Schluss, dass wir wohl noch ein paar Tage länger bleiben. Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen jagt vorbei und bringt meist starken Westwind und eine unangenehme Welle mit sich. Keine Bedingungen, bei denen wir gerne draußen sind und gegen die Elemente ankreuzen.

Gestern sind zwei andere Boote abgelegt, die wir am AIS verfolgen. Knapp außerhalb der Reede wenden sie und kommen zurück, zwei Stunden später sind sie wieder im Hafen. "Zu viel Welle." Heute ist unser Tag. Endlich. Um neun Uhr in der Früh machen wir die Leinen los. Es pfeift immer noch kräftig und die Wellen, die wir durch die Hafenausfahrt und in den Vorhersagen sehen, lassen wenig Vorfreude auf den Englischen Kanal aufkommen. Eingepackt in Schwimmweste und Ölzeug bekommen wir einige Duschen im Cockpit ab. Es hat was von einer Waschmaschine im Schleudergang.

Riki bleibt mit Kira unter Deck, hier unten ist weniger waschen, dafür mehr schleudern. Den beiden ist nicht ganz wohl zumute. "Mir ist schlecht, du musst die Kleine wickeln." Eingekeilt und in Windeseile ist das Baby wieder frisch, dafür ich so bleich wie die frische Windel. Willkommen im Familiensegeln, wo ist nur die Romantik?

Nach der Insel Alderney, als hätte jemand den Schalter umgelegt, kommt die Sonne raus und die Welle nimmt beträchtlich ab. Jetzt beginnt der schöne Teil der Überfahrt. Der Wind weht konstant bis am nächsten Morgen und die Sonne trocknet und wärmt. Nachts ist es zwar kalt, aber ein paar Schichten lange Unterwäsche und zwei Kannen heißer Tee machen die Temperaturen erträglich. Um elf Uhr am nächsten Morgen haben wir die Ile d’Ouessant voraus und nicht viel später machen wir in Camaret sur Mer fest. Schon vier Tage nach unserer Ankunft brechen wir gemeinsam mit zwei befreundeten Booten wieder auf. Über der Biscaya, die eigentlich berüchtigt für Wind und Welle ist, liegt in den nächsten Tagen ein stabiles Hochdruckgebiet mit relativ beständigem Schiebewind aus nördlichen bis östlichen Richtungen. So ein Wetterfenster in dieser Gegend ist ein Geschenk und obwohl uns die Bretagne unheimlich gut gefällt und wir es durchaus noch eine Weile hier aushalten könnten, legen wir am Samstag in der Früh mit Ziel A Coruña in Spanien ab.

Die Nachtwachen teilen wir so auf, dass Riki sich in erster Linie um die Kleine kümmert und Peter und ich uns um das Boot. Solange wir drei Erwachsene sind, können wir uns diesen Luxus gönnen. Die Nacht verlängern wir auf 14 Stunden und teilen diese in zwei lange Wachen von je sieben Stunden auf, was uns besser liegt als mehrere kürzere Wachen von drei oder vier Stunden und etappenweisem Schlafen dazwischen. Die Nächte sind kalt, schön und unspektakulär, es herrscht nachts zwar verhältnismäßig wenig Wind und stundenweise auch Flaute, aber lieber dümpeln wir langsam unter Segeln dahin, als den lärmenden Motor zu starten.

Genau wie wir genießt Kira die Segeltage, die Bewegung des Bootes scheint ihr wenig auszumachen. Sie sitzt mittlerweile sehr stabil auf den Bodenbrettern im Salon oder auf unserer Koje und spielt am liebsten mit allem, was kein Babyspielzeug ist: Rollen und Blöcke, Leinen, Winschen und Kurbeln.

Nach drei Tagen und zwei Nächten erreichen wir Spanien. Vor der Abfahrt haben wir wegen der hohen Covid-19-Infektionszahlen lange überlegt, ob wir hier überhaupt stoppen sollen. Letztendlich fällt die Entscheidung, A Coruña und vielleicht ein oder zwei Ankerbuchten in Spanien anzulaufen, auf ausgedehnte Stadtbummel, Kneipenbesuche oder Ähnliches jedoch zu verzichten.

Schade, dass uns der Herbst im Rücken sitzt. Der Nordwesten Spaniens ist wunderschön und lädt ein, mehr Zeit dort zu verbringen. An dieser Küste reiht sich eine Ankerbucht an die nächste. Die tiefen, fjordartigen Einschnitte, oftmals Flussmündungen, werden Rias genannt und bieten Dutzende Ankermöglichkeiten. Egal, aus welcher Richtung Wind und Welle kommen, man findet immer einen sicheren und geschützten Platz, um eine oder ein paar Nächte vor Anker zu verbringen. Weiße Sandstrände, karge Felsen, mächtige Kaps und idyllische Fischerdörfer wechseln sich ab und prägen das Bild Galiciens und wir segeln in Tagesschlägen entlang der Küste.

Unser Kurs ändert sich von West auf Süd. Weiter geht es entlang der portugiesischen Küste Richtung Algarve. Wir machen Halt in Porto und lassen Lissabon wegen der hohen Covid-Zahlen und der Ausgangsbeschränkungen schweren Herzens links liegen. Nächster Stopp: Lagos. Hier erfahren wir, dass Gambia, das Ziel unserer Reise, seine Grenzen wieder geöffnet hat. Die Aussichten, unser eigenes Boot schon bald wieder zu sehen, sind greifbar. Auch sonst verwöhnt uns die Algarve mit wunderbaren Ankerplätzen, Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen.

Besonders Alvor tut es uns an. Die Einfahrt in die Lagune mit ihren vielen Sandbänken ist spannend. Wir sehen zwei Fahrwassertonnen: eine augenscheinlich rote Tonne mit grünem Toppzeichen, die wir wie eine rote Tonne behandeln und an Backbord liegen lassen, und eine verrostete Tonne ohne Toppzeichen, die laut Seekarte grün ist, aber wegen des Rostes rot aussieht. Sowohl die Fahrt durch die flache Lagune als auch der Ankerplatz lassen bei uns ein wenig Gambia-Feeling aufkommen: Genau wie vor der "Lamin Lodge", wo die "Aracanga" liegt, sind auch hier die verschiedensten Zustände des Verfalls zu beobachten: Von schicken, hochglanzpolierten Katamaranen bis hin zu längst verlassenen, auf der Sandbank liegenden Booten oder solchen, von denen nur noch die Mastspitze bei Ebbe herausragt, ist alles zu finden.

Die Algarve wird nicht umsonst als der Ort, der die Fahrtensegler frisst, bezeichnet. Hier enden viele Langfahrten, bevor sie überhaupt so richtig beginnen. Wir können das nachvollziehen. Aber trotz aller Schönheit haben wir nicht vor, hierzubleiben. Unser nächstes Ziel sind die Kanarischen Inseln.

Am Freitagvormittag legen wir von Portimao ab und setzen noch in der Flussmündung die Segel. Vor uns liegen 530 Seemeilen über den Atlantik. Entgegen der Vorhersage, die für den ersten Tag nur sehr wenig Wind prognostiziert, haben wir perfekte Segelbedingungen mit anfangs 10 und dann durchgehend zwischen 15 und 20, in Böen bis 25 Knoten Wind.

Mit dem Großsegel auf Backbord und der ausgebaumten Genua auf Steuerbord segeln wir direkt vor dem Wind mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs Knoten, was ein Tagesetmal von 144 Seemeilen bedeutet. Eine unregelmäßige Dünung schaukelt uns etwas durch, alles in allem genießen wir jedoch beste Segelbedingungen und super Wetter. Meile für Meile kommen wir den Kanaren näher. Tagsüber ist es schön warm und mit jeder Meile nach Süden werden auch die Nächte trotz langer Unterwäsche und Ölzeug angenehmer. Zeitgleich geht der Vollmond im Osten auf und die Sonne im Westen unter und wir wissen nicht, wohin wir staunen sollen, nach backbord in Richtung des glutroten Mondaufganges oder nach steuerbord, wo ein nicht minder spektakulärer Sonnenuntergang Himmel und Wolken einfärbt.

Während der Überfahrt sind wir ganz für uns allein und leben in unserer eigenen, kleinen Welt. Genau das macht auch den Reiz einer Überfahrt aus, die Außenwelt ist wie ausgeschaltet und das Leben einfach und elementar: Wind und Wetter, Sonne und Mond bestimmen den Rhythmus und alles andere interessiert uns nicht.

Vor der Abfahrt machen wir uns Gedanken, wie es wohl für Kira sein wird, wenn alles nur schaukelt, während sie gerade lernt, zu stehen und sich voranzuhangeln. Zu unserem Erstaunen ist es gar kein Problem für sie, sie steht im Cockpit an ihrer "Ballettstange", lacht und freut sich und winkt den vorbeirollenden Wellen zu. Alles in allem ist es eine sehr entspannte Überfahrt mit der Kleinen, die natürlich viel Zeit und Aufmerksamkeit benötigt, jedoch trotz Geschaukel, Wind und Welle gut drauf ist und ihre Krabbel-, Steh- und Laufübungen absolviert.

Nach vier Tagen fällt der Anker auf drei Meter Wassertiefe vor der Insel La Graciosa auf den Kanaren. Vor zwei Jahren sind wir mit der "Aracanga" in dieser Bucht gelegen. Jetzt sind wir ihr 530 Seemeilen näher. Es war eine wunderschöne Überfahrt und wir freuen uns, an Land zu paddeln und den Sandstrand unter den Füßen zu spüren.

Unsere Nachbarin kommt mit dem Beiboot angepaddelt und klopft an der Bordwand. Sie kommt von dem neuseeländischen Boot neben uns und stellt sich vor. Als Familie mit zwei Kindern leben sie seit bald zehn Jahren an Bord. Irgendwoher kommt sie uns bekannt vor. Die Lösung finden wir später: Von ihr stammt ein Beitrag über Windeln an Bord in einem Buch übers Fahrtensegeln mit Kindern, das wir auch an Bord haben. Wir haben damals gesagt: "Das ist cool und einfach, wie die das machen, so machen wir das auch."

Und wenn wir hier schon vom Windelwaschen schreiben, so funktioniert unsere Waschmaschine: Wir packen die dreckigen Windeln in ein Netz und hängen dieses, egal ob am Anker oder unterwegs, übers Heck ins Wasser. Durch Strömung und Welle werden die Windeln gut vorgewaschen, dann gibt es noch einen Waschgang mit etwas abbaubarem Waschmittel im Eimer und am Schluss wird alles einmal mit Süßwasser ausgespült. Das Trocknen und Bleichen übernimmt die Sonne.

Von La Graciosa segeln wir via Lanzarote, Lobos und Fuerteventura nach Las Palmas, wo wir dasselbe tun, wie tausend andere Boote um uns herum auch: Verproviantieren, auf Ersatzteile warten und das kanarische Zoll- und Postwesen zu verstehen versuchen.

Knapp tausend Seemeilen in sechseinhalb Tagen, von Las Palmas nach Banjul sind wir zügig unterwegs. Der Windmesser zeigt meist zwischen 20 und 25 Knoten an, manchmal auch bis 30 und Wellen zwischen zwei und fünf Meter Höhe lassen die Logge der "Ivalu" regelmäßig in den zweistelligen Bereich hochschnellen.

Das Segeln mit Baby macht sehr viel Spaß, ist aber auch anstrengend, da immer jemand bei der Kleinen sein muss. Der Seegang stört sie zwar nicht, und egal wie sehr die "Ivalu" schaukelt, Kira steht in dem kleinen Zwischenraum zwischen Cockpit und Niedergang, hält sich mit einer Hand an der Stufe fest und winkt mit der anderen den von achtern anrollenden Wellen zu. Und wenn ein Seevogel vorbeifliegt, ist sie ganz aus dem Häuschen, zeigt ihren einen Zahn, ruft und kreischt, freut sich und winkt noch ausgelassener. Schwierig ist das Ins-Bett-Bringen. Bei den starken Rollbewegungen schläft sie meist in der Bauchtrage ein. Die Kunst besteht dann darin, sie so abzulegen, dass sie weder aufwacht noch bei großen Wellen, die das Boot regelmäßig weit auf die Seite legen, aus der Koje purzelt.

Mit jedem Tag geht der abnehmende Mond eine knappe Stunde später auf, sodass die Nächte während der Überfahrt immer dunkler werden. Aber die Nächte werden auch wärmer. Zwar tragen wir nachts immer noch Ölzeug wegen des überkommenden Spritzwassers, die lange Unterwäsche jedoch bleibt im Schapp.

Der Wind nimmt auf bis zu 35 Knoten zu und wir segeln die meiste Zeit nur unter einfach gerefftem Großsegel, was die "Ivalu" ausgeglichen auf dem Ruder liegen und die Windfahnensteuerung somit zuverlässig arbeiten lässt. Unsere große Genua setzen wir gar nicht mehr, nur hin und wieder die Fock, wenn der Wind auf unter 25 Knoten abnimmt. Jeden Tag machen wir Etmale von über 150 Seemeilen und segeln im Schnitt über sechs Knoten. Noch haben wir 300 Seemeilen bis Banjul und wir rechnen damit, in zwei Tagen anzukommen.

Dann tun wir das, wovon wir so vielen anderen abgeraten haben: Wir segeln bei Dunkelheit in die Flussmündung des Gambia auf Banjul zu. Die letzte Nacht ist spannend, aber keine Überraschung. Überall um uns herum blinkt und blitzt es, Hunderte kleine und größere Pirogen sind entlang der senegalesischen und gambischen Küste unterwegs. Um besser gesehen zu werden, schalten wir zusätzlich zur Navigationsbeleuchtung das Dampferlicht ein, das unser Vorsegel leuchten lässt. Es ist unmöglich, die Entfernung zu den Pirogen einzuschätzen. In einem Moment denkt man, das Boot mit den drei weißen Lichtern ist noch sehr weit weg, im nächsten Moment stehen drei Fischer mit Stirnlampen nur eine Bootslänge von uns entfernt in ihrer Piroge. Eine andere Piroge kommt mit Vollgas auf uns zu, als Kennung dient ein offenes Feuer an Deck, auf dem Tee gemacht und gekocht wird. Sie drehen so knapp neben uns ab, dass Riki von unter Deck die Funken sprühen sieht und ich dem Steuermann die Hand geben könnte. Er grinst mich breit an und heißt uns überschwänglich willkommen: "Welcome to Gambia! Inimbara, inimbara!" Mit zitternden Knien rufe ich "Inimbara!" zurück.

Das Boot ist in eine Salzkruste gepackt. Um 8.45 Uhr liegt der Anker auf fünf Meter Tiefe vor Banjul. Es ist viel los im Hafen, die Fischer in ihren bunten Pirogen laden den Fang an und große Frachter löschen Ladung. Am Funk wird uns gesagt, dass wir zur Clearance an Land kommen sollen. Wir pumpen das Beiboot auf, packen Pässe und Schiffspapiere ein, zusätzlich einen Mund-Nasen-Schutz und in weiser Voraussicht das Fieberthermometer, da ein Temperaturcheck Vorschrift ist.

Am Gate werden wir freundlich empfangen: "Inimbara. I recognice you, you were here before." Der Sicherheitsmann notiert unsere Namen und Ausweisnummern und möchte die Körpertemperatur messen. Glücklicherweise haben wir unser Fieberthermometer dabei, ansonsten müssten wir jetzt wahrscheinlich längere Zeit hier warten. Eine Dame der Immigration begleitet uns anschließend durch den geschäftigen Gewerbehafen. Im obersten Container eines hohen Stapels sitzt ein Hafenarbeiter und wirft einzelne Cornflakes-Packungen seinem Kollegen am Boden zu, der diese wiederum in ein Tuk-Tuk verlädt. Große, mit Zement beladene Lkws rangieren rasant durch die engen Gassen zwischen den Containern und immer wieder kommt es zu Hupkonzerten und staubigen Ausweichmanövern. Und daneben, im Schatten eines anderen Containers, sitzt eine Gruppe Zollbeamte beim Ataja, dem traditionellen Tee. Willkommen in Banjul. Was für ein Kontrast zu der einsamen Woche auf dem Ozean, die gerade hinter uns liegt!

Wir biegen um zwei Ecken und treten durch die Tür des Immigration-Office. Fünf Beamte sitzen im Kreis, einer döst, einer liest Zeitung und drei palavern und trinken Ataja. In der Ecke flimmert ein unscharfer Science-Fiction-Film auf einem alten Röhrenfernseher. "Welcome. I recognice you!" Babu, der Chef der Beamtengruppe, hat sogar noch meine Handynummer gespeichert. Der Rest geht schnell und unkompliziert und nachdem wir unsere Stempel in den Pässen haben, begleitet Babu uns zwei Türen weiter zum Health-Officer.

Hier begegnen wir dem Typ Beamten, den man hofft, nicht zu treffen: Herablassend, gebieterisch und korrupt. "Wo sind eure Covid-Tests?" Haben wir nicht. Uns wurde von zwei offiziellen Stellen, der Hafenbehörde und der Immigration, mitgeteilt, dass bei Einreise mit dem Boot nur die Körpertemperatur gemessen wird. Interessiert ihn nicht. Wie die offizielle Lage ist und ob sich die Einreisevorschriften während der Zeit unserer Überfahrt geändert haben, ist unmöglich zu erfahren, zu undurchsichtig sind die Strukturen hier. Das weiß er und nutzt es aus. Schlussendlich einigen wir uns mit einem überzogenen Trinkgeld unter der Bedingung, dass unsere Freunde, die ebenfalls auf dem Weg nach Banjul sind, problemlos einreisen können.

Nach dem Health-Department ist der Zoll die nächste Station. Auch der Chef der Zollbehörde im Hafen erinnert sich an uns. "You know the procedure." Ja, wir kennen die Prozedur. Wir trinken einen Tee, er freut sich über eine neue Cap und wir darüber, schnell und unkompliziert einklariert zu werden.

Letzter Stopp im Einklarierungsmarathon ist die Hafenbehörde, wo uns Gibba, der Chef der Lotsenbootfahrer, schon vom obersten Stock aus zuwinkt. Von ihm bekommen wir sogar einen offiziellen Beleg für das Cruising Permit. Nach sechs Stunden sind wir offiziell eingereist. Jetzt hält uns nichts mehr. Voller Vorfreude auf unser altes neues Zuhause holen wir den Anker der "Ivalu" auf und machen uns auf den Weg zur Lamin Lodge, wo wir vor einem Jahr unsere "Aracanga" zurückgelassen haben.

"Good to see you back!", Lamin, ein befreundeter Fischer, kommt uns in seiner Piroge entgegen und erkennt uns sofort wieder. Auch an Land ist die Wiedersehensfreude riesig. Die Nachricht, dass wir zurück sind, ist uns bereits vorausgeeilt und als wir mit unserem Beiboot an den Steg rudern, werden wir bereits von vielen Freunden mit lauten "Papa Peter, Captain Martin, Ladyboss und Baby Kira"-Rufen erwartet. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Corona hin oder her, wir fallen uns in die Arme und die kleine Bar hinter den Mangroven hat heute etwas länger als üblich geöffnet.

Somit sind die drei Kapitel "Mit der 'Aracanga' von Deutschland nach Gambia", "Heimaturlaub" und "Mit der 'Ivalu' von Deutschland nach Gambia" abgeschlossen. Alle vier sind wir etwas traurig, unsere Mehrgenerationencrew aufzulösen, gleichzeitig freuen wir uns auf das vierte Kapitel unserer Reise: "Zurück auf der 'Aracanga'".

Wir bleiben zwei Monate in Gambia, ziehen zurück auf unser Boot, sehen Freunde und richten unsere Yacht wieder her. Dann zieht es uns weiter, Kurs West, über den Atlantik in die Karibik nach Grenada. Alle Unterlagen sind ausgefüllt und abgeschickt, fehlt nur noch ein Corona-Test, dann können wir ablegen. Wir warten am Ufer in einer mangels Elektrizität notdürftig mit Kerzenlicht beleuchteten Kneipe auf den sympathischen Herrn mit den Wattestäbchen, der uns auf Corona testen soll. "Guten Abend, ich bin Ibrahim vom Gesundheitsministerium. Habt ihr Corona?"

Weitere Infos, Bilder und Artikel zur Reise der "Aracanga" unter Ahoi.blog .

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